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Positionen und Grundsätze

Stellungnahme zur Erarbeitung einer Weiterbildungsstrategie des Landes Schleswig-Holstein

  • Arbeit und Beruf, Teilhabe, Grundbildung, Integration, Nachhaltigkeit, Struktur

Stellungnahme zur Erarbeitung einer Weiterbildungsstrategie des Landes Schleswig-Holstein als PDF

1. Die Transformation der Gesellschaft erfordert Weiterbildung

Die Transformation unserer Gesellschaft schreitet mit hoher Dynamik und tiefgreifender Wirkung voran und erfasst alle Lebensbereiche. Der sozial-ökologische, digitale und demographische Wandel stellt
Herausforderungen von existenzieller Bedeutung dar.

Ihre Bewältigung in nur wenigen Jahren wird nur in Verbindung mit grundsätzlichen Anpassungen und Verhaltensänderungen gelingen können. Hierfür sind Prozesse der Auseinandersetzung, des Reflektierens,
des Verständigens sowie der Weiterentwicklung von Haltungen und Kompetenzen zwingend notwendige Voraussetzungen. Kurz gesagt: Lernen und Bildung werden überlebenswichtig.

Angesichts der begrenzten Zeithorizonte bekommen hier Lernbereitschaft, Lernfreude und Lernkompetenz der derzeitigen Erwachsenengeneration eine zentrale Bedeutung. Erwachsenenbildung ist einer
der wesentlichen Faktoren für eine soziale, nachhaltige und eine mit Sicherheit verbundene Zukunft sowie das Funktionieren von Teilhabe und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Die Weiterbildungsstrategie des Landes sollte sich aus unserer Sicht an der Gestaltung der großen Transformationsprozesse unserer Gesellschaft orientieren, da Weiterbildung hier zentrale
Beiträge zu leisten vermag.

2. Weiterbildung entfaltet eine breite Wirkung

Erwachsenenbildung hat positive Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden, auf die Beschäftigungslage und den Arbeitsmarkt, sowie auf das gesellschaftliche Zusammenleben, wie der dritte Weltbericht zur Erwachsenenbildung der UNESCO aufzeigt. Zudem verdeutlicht der Bericht, wie Erwachsenenbildung den sozialen Zusammenhalt fördert, also Integration und Inklusion steigert und soziales
Kapital vermehrt sowie die Teilnahme an sozialen, bürgergesellschaftlichen und sonstigen gemeinschaftlichen Aktivitäten verbessert.

Zunehmend werden überfachliche Qualifikationen benötigt, sowohl in der Arbeitswelt als auch im privaten Alltag (Teamgeist, Selbstmanagement, Toleranz, Problemlösungskompetenzen u. Ä.). Die Vermittlung
von sozialen und personalen Kompetenzen in der allgemeinen, politischen und kulturellen Bildung hat damit eine wachsende Bedeutung auch für berufliche Kontexte. Kritisch zu sehen ist dabei der unterschiedliche
Beteiligungsgrad verschiedener Teilgruppen an Weiterbildung. Un- und Angelernte bzw. Personen mit niedrigem Schulabschluss weisen gemäß Adult Education Survey deutlich niedrigere Weiterbildungsbeteiligungen auf als Führungs- und Fachkräfte bzw. Personen mit mittlerem und höherem Schulabschluss.

Wachsende Bedeutung wird die Weiterbildung auch speziell für die Teilhabe und den Erhalt von Gesundheit und Wohlergehen für die länger währenden Lebensphasen nach der beruflichen Tätigkeit bekommen,
sei es im Übergang aus dem Berufsleben in den Ruhestand oder auch im höheren Alter und im Höchstalter. Weiterbildung kann hier über eine Steigerung der gesundheitlichen Selbstkompetenz,
der Förderung von sozialer Begegnung im gemeinsamen Lernen, der Vermittlung von innovativen Entwicklungen wie der Ermöglichung von Selbstertüchtigung und Erfolgserlebnissen eine hohe präventive
Wirkung entfalten.

Die vielfältigen Potentiale und Wirkungen von Weiterbildung u. a. für Gesundheit, Beschäftigungslage, Teilhabe, Integration, Zusammenhalt und gegen Tendenzen der Vereinsamung sollten
in einer ganzheitlichen Strategie aufgegriffen werden.

Die Steigerung von Teilnahmen an Weiterbildung insbesondere bei Gruppen mit niedrigem Bildungsniveau sollte angesichts der weitreichenden Wirkung von Weiterbildung mit Blick auf Teilhabe ein zentrales Ziel der Weiterbildungsstrategie sein und dabei alle Weiterbildungsbereiche einbeziehen.

3. Orientierende Regelungen des Weiterbildungsgesetzes Schleswig-Holstein

Das schleswig-holsteinische Weiterbildungsgesetz (WBG SH) definiert Weiterbildung in § 2 als gleichberechtigten Teil des Bildungswesens und als wesentlichen Baustein im Kontext lebenslangen Lernens.
Weiterbildung umfasst gemäß § 2 Absatz 3 „gleichrangig die Bereiche der allgemeinen, der politischen, der kulturellen und der beruflichen Weiterbildung“.

Gemäß § 3 ist es „eine öffentliche Aufgabe des Landes und der Kommunen und der Gemeindeverbände, die Entwicklung eines pluralen und flächendeckenden Weiterbildungsangebotes sowie die individuelle
Bereitschaft zum lebensbegleitenden Lernen zu unterstützen und zu fördern“.

Aufgaben und Ziele werden in § 3 mit einem breiten Verständnis von Weiterbildung formuliert: „Die Weiterbildung soll dazu beitragen, die Einzelnen zu einem kritischen und verantwortlichen Handeln im
persönlichen, öffentlichen und beruflichen Bereich zu befähigen“ (Absatz 1). Mit Weiterbildung wird das Ziel verbunden, „über den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus übergreifende
Qualifikationen zu vermitteln“ (Absatz 2). Hierzu zählen explizit die Fähigkeit zur Kommunikation, zur Zusammenarbeit und zur rationalen Austragung von Konflikten. „Zudem soll sie die Chancen von benachteiligten Menschen insgesamt verbessern“ (ebd.).

Das WBG SH postuliert zudem das Zusammenwirken dieser Bereiche in einem integrativen Ansatz (§ 3 Absatz 7 WBG SH). Dieses holistische Verständnis der Aufgaben und Ziele von Weiterbildung entspricht
auch der im November 2021 durch den Ministerrat der EU verabschiedeten Europäischen Agenda für Erwachsenenbildung (EAAL), die zur Schaffung eines inklusiven, nachhaltigen, sozial gerechten
und resilienteren Europas beitragen soll.

Das Weiterbildungsgesetz SH setzt in seinem ersten Abschnitt damit einige grundlegende Vorgaben, an der sich auch eine Weiterbildungsstrategie des Landes orientieren sollte. Insbesondere
dem holistischen Ansatz des WBG SH sollte eine Weiterbildungsstrategie Rechnung tragen und entsprechend an der gesamten Breite gesellschaftlicher Zukunftsaufgaben ausgerichtet
werden.

4. Bedarfe im Vergleich zu Weiterbildungsgesetzen der anderen Bundesländer

In anderen Bundesländern hat es sehr viel früher ein Weiterbildungsgesetz gegeben, das die Förderung der Volkshochschulen und freien Träger regelt und damit auch die Strukturentwicklung beeinflusst
hat. Das erste entsprechende Gesetz lag 1953 in NRW vor und bis 1975 hatten alle Bundesländer der alten BRD, außer der Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie Schleswig-Holstein, ein entsprechendes Gesetz vorzuweisen.

In Schleswig-Holstein gab es erst 1990 ein Weiterbildungsgesetz, das zudem die Finanzierung der Volkshochschulen und freien Träger anders als in den Gesetzen der anderen Bundesländer nie geregelt
hat, sondern vor allem die Bildungsfreistellung regelt. Die in Artikel 13 der Landesverfassung als gemeinschaftliche Aufgabe von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden festgehaltene Förderung
der Volkshochschulen erfolgt somit im Wesentlichen durch die Kommunen gemäß Haushaltslage.

Zur Förderung beschränkt sich das WBG SH im Vergleich zu den Weiterbildungsförderungsgesetzen der anderen Länder auf sehr kursorische Regelungen im kurzen Abschnitt III. Hier hält § 15 u. a. fest,
dass Volkshochschulen als Träger und Einrichtungen der Weiterbildung zur flächendeckenden Grundversorgung gefördert werden. Gegenüber den Weiterbildungsförderungsgesetzen der anderen Bundesländer
weist das WBG SH daher einen Regelungsbedarf bezüglich Fördergrundsätzen, Fördervoraussetzungen und Förderformen auf.

Die Aktivitäten des Landes im Bereich Weiterbildung sind aber vielfältiger als die derzeitigen Förderregelungen im Weiterbildungsgesetz, wie ausgewählte Beispiele illustrieren: Das Bildungsministerium fördert
Grundbildungszentren, mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds werden Regionalstellen für Alphabetisierung unterstützt, das Sozialministerium ermöglicht Weiterbildungsangebote für Engagierte und das Umweltministerium fördert Maßnahmen zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung.

Die Weiterbildungsstrategie des Landes sollte unseres Erachtens darauf abzielen, die Regelungsbedarfe, die das Weiterbildungsgesetz SH im Vergleich zu den Gesetzen anderer Bundesländer
aufweist, zu erfüllen. Sie sollte daher unbedingt zu einer Reform des Weiterbildungsgesetzes führen, so dass dieses die Förderung der Grundversorgung mit Weiterbildung konkreter regelt.

5. Versorgungsstrukturen zur Sicherstellung gleicher Lebensverhältnisse adressieren

Die flächendeckende Grundversorgung wird gemäß § 15 Ziffer 1 WBG SH über die Volkshochschulen sichergestellt. Die Mitglieder unseres Landesverbandes haben 2019 mit einer einstimmig verabschiedeten
Resolution darauf hingewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein aufgrund von Strukturdefiziten nicht alle gleichermaßen Zugang zu Angeboten der öffentlich verantworteten Weiterbildung
haben. Diese Strukturdefizite hängen aus unserer Sicht zusammen mit den benannten Regelungsbedarfen im WBG. Diese haben eine im Bundesvergleich sehr niedrige Landesförderung zur
Folge, führen dadurch zu überproportional hoher Abhängigkeit von kommunalen Haushaltslagen und resultieren in einer defizitären Grundversorgung bezüglich Weiterbildung in einigen Regionen.

Diese Grundversorgung, die für alle Bürgerinnen und Bürgerinnen zugänglich sein sollte, ist in den hinsichtlich öffentlich verantworteter Weiterbildung strukturschwachen Kreisen nicht gesichert. An Standorten,
an denen sie sichergestellt ist, tragen die schleswig-holsteinischen Volkshochschulen erheblich zur Chancengerechtigkeit, zur Teilhabe und zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bei. In ländlichen
Kommunen sind sie zudem eine der wenigen verbliebenen Begegnungsstätten für Bürgerinnen und Bürger. Unser Landesverband hat zur Anregung der Diskussion um eine Reform des Weiterbildungsgesetzes
2021 ein Papier mit 18 Eckpunkten vorgelegt, die u.a. auch Maßnahmen zur Strukturentwicklung beinhalten.

Eine Weiterbildungsstrategie des Landes sollte aus unserer Sicht auch Maßnahmen festlegen, die zur Sicherstellung gleicher Lebensverhältnisse bezüglich Weiterbildung in allen Regionen
Schleswig-Holsteins beitragen. Orientierung bieten hier modellhafte Strukturentwicklungspläne, die im Kontext des dritten Kulturdialogs mit Unterstützung des Bildungsministeriums in Ostholstein
erstellt wurden und derzeit in anderen Kreisen angestrebt werden.

6. Anregungen aus Weiterbildungsstrategien anderer Bundesländer

Uns sind nur aus wenigen Bundesländern Weiterbildungsstrategien bekannt. In NRW wurde von einer Weiterbildungsstrategie angesichts der Novellierung des Weiterbildungsgesetzes abgesehen, zumal
Weiterbildung in anderen Strategien, wie der Digitalstrategie, Nachhaltigkeitsstrategie und Engagementstrategie, explizit thematisiert wird. Anknüpfungspunkte für eine Weiterbildungsstrategie des Landes
Schleswig-Holstein bietet aus unserer Sicht am ehesten der Weiterbildungspakt für Hessen.

In Hessen schloss sich an den 2017 gestarteten, auf drei Jahre angelegten ersten Weiterbildungspakt ein zweiter Pakt für die Jahre 2021 bis 2025 an5. Inhalte des zweiten Weiterbildungspaktes für Hessen
sind die folgenden Ziele und zugehörigen Handlungsfelder:

  • Weiterbildungszugänge erleichtern: hierzu zählen die Themen Bildungsberatung, Wohnortnähe/Ländlicher Raum, Digitale Lernsettings, Grundbildung, Übergänge
  • Integration, Inklusion, Teilhabe und Chancengerechtigkeit fördern, mit den folgenden Punkten: Migration/Integration, Inklusion, politische Weiterbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Ehrenamt
  • Qualität stärken, mit Weiterentwicklung der Profession in folgenden Bereichen: Erwachsenenbildung, Bildungsberatung, digitale Lernsettings, Grundbildung, Sprachdidaktik, kulturelle Bildung, Gesundheitsbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung

Für den Weiterbildungspakt stellt das Land Hessen zusätzlich zur bisherigen Förderung nach dem Hessischen Weiterbildungsgesetz insgesamt knapp 13 Mio. Euro für die Jahre 2021-2025 zur Verfügung.
Der nach dem Hessischen Weiterbildungsgesetz vorgesehene Fördersatz für Unterrichtsstunden steigt in den kommenden Jahren kontinuierlich an. Hierfür werden etwa 5,5 Millionen Euro bereitgestellt. Zusätzlich
stellt das Land insgesamt 7,5 Millionen Euro für Projekte zur Verfügung.

Aus unserer Sicht bietet der Weiterbildungspakt für Hessen gute Anregungen für eine Weiterbildungsstrategie des Landes Schleswig-Holstein, die die aufgeführten Handlungsfelder ebenfalls
adressieren sollte. Zudem sollten Strategien des Landes unseres Erachtens wechselseitige inhaltliche Bezüge berücksichtigen und eine Weiterbildungsstrategie entsprechend Relevanz für
Strategien im Bereich Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Engagement und Integration entfalten.

7. Weitere Anregungen für die Erarbeitung einer Weiterbildungsstrategie

Der Landesverband der Volkshochschulen begrüßt und unterstützt die im Koalitionsvertrag angekündigte Absicht der Landesregierung, eine Weiterbildungsstrategie aufzusetzen und diese gesetzlich zu
normieren. Da Strategien nur so weit tragen, wie sie das Handeln orientierend beeinflussen, erscheint uns die gesetzliche Normierung ein zentraler Teil dieses Prozesses.

Aus diesem Grund sollte eine Weiterbildungsstrategie des Landes unseres Erachtens über die Benennung von Zielen und Maßnahmen hinaus auch verbunden sein mit Festlegungen zu ihrer Umsetzung
einschließlich einer angemessenen Finanzierung sowie einer evaluativen Überprüfung. Letztere könnte mit der im WBG SH verankerten Pflicht zur Berichtslegung verbunden werden.

Weiterhin erscheint es aus unserer Sicht ratsam, bei der Erstellung einer Weiterbildungsstrategie die Aktivitäten der verschiedenen Ministerien im Bereich Weiterbildung zu berücksichtigen. Zudem sollte
die Kommission Weiterbildung ihrem gesetzlichen Auftrag gemäß beratend eingebunden werden. Sinnvoll könnte auch ein Austausch zwischen den zuständigen Ausschüssen im Landtag und der Kommission
Weiterbildung sein.

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